Viele Unternehmen befinden sich als Reaktion auf die erste Welle der Digitalisierung inmitten eines folgenschweren Prozesses aus Konsolidierung ihres Kerngeschäfts, Transformation in digitale Produktwelten und Diversifikation in laterale Geschäftsfelder, Technologien und Märkte.
Eine wichtige Entwicklung! Doch während wir uns in Deutschland langsam zu wandeln beginnen, folgt bereits die nächste Welle der Digitalisierung.
Um es gleich vorweg zu nehmen: auf die Veränderungen durch Machine Learning, Robotik, IoT und Quantencomputer sind wir trotz Industrie 4.0-Bestrebungen als Exportnation nicht (gut) vorbereitet. Wir haben in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu lange gezögert, passende Strukturen, geeignete Pilotprojekte und agile Mindsets zu schaffen, um den drohenden “Tech-Wellen” mit alten Ansätzen dauerhaft Stand halten zu können.
Dies sieht auch Bitkom-Chef Bernhard Rohleder so: “Wenn wir so weitermachen, sehen wir von den schnellen Vorreiterländern der KI bald nicht mal mehr die Rücklichter”.
Keine Zeit mehr zu hadern
In einem Gespräch vor einigen Monaten mit Prof. Dr. Dr. Schmidt-Thieme vom Information Systems and Machine Learning Lab in Hildesheim wurde mir bestätigt, dass sich noch immer viel zu wenige Firmen auf den Weg gemacht haben, geeignete Daten zu aggregieren, Machine Learning aktiv zu verproben und in sinnvolle Anwendungsfälle zu überführen. Hervor stechen in Norddeutschland derzeit VWFS und Bosch. Im wichtigen Mittelstand ist das Thema jedoch kaum anzutreffen.
Dabei reden wir hier über eine absolute Schlüsseltechnologie, die durch ihre Interdisziplinarität in sämtliche Branchen und Lebenssituationen eingreifen wird. Höchste Zeit also, auf oberster Entscheidungsebene in Wirtschaft und Politik etwas zu verändern. Aber wie so oft trifft wenig technisches Verständnis auf ein zu geringes Maß an Kreativität und Mut zur Veränderung. Ausgerechnet bei uns, im Land der Ingenieure…
Ziehen wir ein aktuelles Beispiel heran: Tesla ist vor 17 Jahren, also bereits 2003 gegründet worden, gilt heute als e-Auto-Pionier, baut in Kombination mit Panasonic leistungsstarke Akkumulatoren mit deutlich geringerem Rohstoff-Anteil an Lithium und Kobalt, ist Spitzenreiter beim Ausbau der Ladeinfrastruktur und entwickelt – fast nebenbei – für seinen Autopiloten einen vielbeachteten FSD-Chip, welcher auf clevere Art und Weise CPU, GPU und KI-Prozessor miteinander vereint.
Während sich diese Liste verlängern ließe, schauen wir der Entwicklung als Auto-Nation zu und belächeln Elon Musk – auch in den Medien – viel zu lange…
Ob Tesla – im Speziellen – nun wirtschaftlich tragfähig bleibt oder nicht, spielt eigentlich eine untergeordnete Rolle. Was sich als Systemfehler in diesem Beispiel zeigt, ist: Wir hadern zu sehr mit Verlustängsten und schützen unsere Komfortzonen so lange, bis wir Entwicklungen vollends verschlafen haben. Damit machen wir es Wirtschaftsakteuren in anderen Ländern mit einer gut inszenierten Brand, digital leicht zu verbreitenden Technologien um so einfacher, über Jahrzehnte funktionierende Geschäftsmodelle ohne viel Gegenwehr zu gefährden, häufig auch noch ohne Infrastruktur.
Dabei hat das Ganze Methode: Rund um die Welt werden Teams aus Generalisten mit dem richtigen Gespür, Spezialisten mit Machermentalität und Branchenkenner mit weitreichenden Erfahrungen verschmolzen und überlegen als Thinktanks, wie sie – oft mit der Bereitschaft, Umsatzrenditen drastisch zu kappen – die Old Economy mit technischen und erheblichen monetären Mitteln, einer begeisterten Community und einem durchaus tragfähigen Geschäftsmodell systematisch aus den Angeln heben können.
Und was tun wir? Wir verweigern uns der Realität, meiden Risiken und damit auch die digitalen Chancen…
“Es gibt keine Geheimnisse für den Erfolg. Er ist das Ergebnis von Vorbereitung, harter Arbeit und Lernversagen.”
– OLIVER SANDERO
In Zeiten von Corona rächt sich der Mangel an Mut
Mut zur Veränderung erfordert Kraft und Willensstärke, Verhaltensmuster und Mindsets zu durchbrechen. Das ist insbesondere dann nicht leicht, wenn “der Laden läuft”.
Zudem mangelt es uns oft an der Vorstellungskraft, feste Strukturen samt unserer Mitarbeiter könnten aufgebrochen und Verhaltensmuster sich „transformieren“ lassen. Reflexartige Schutzbehauptungen, wie „Mein Team wäre dazu nicht in der Lage“, und etablierte Komfortzonen führen deshalb dazu, dass wir bspw. Prinzipien wie „New Work“ nicht wirklich aktiv adaptieren.
Doch Change Management ist selten bequem und je früher wir beginnen, desto mehr Zeit und monetäre Mittel haben wir, die Dinge richtig umzusetzen.
Darüber hinaus machen wir Fehler in der Vergütungsstruktur unserer Mitarbeiter. Manager werden anders als Unternehmer und Gründer nicht durch Erfolge eingegangener Risiken entlohnt, sondern auf Basis der durch Gesellschafter oder Aktionäre determinierten unternehmerischen Kennzahlen. Letzteres induziert risikoaverses Verhalten durch die Verpflichtung zur Maximierung der Umsatzrendite, selbst wenn das Management Marktlücken erfolgreich erkennt und nutzen möchte. Es scheitert dann an den eigenen Strukturen und dem “Richtlinienpanzer”. Auf diese Weise verhindern wir Innovationen, da monetäre Mittel für Forschung & Entwicklung, Gründung von Spin-Offs in Firmen- bzw. Konzernstrukturen oder Aufbau von Startups, welche keineswegs der üblichen Rendite-Erwartung nach Plan entsprechen, nicht oder nicht lange genug zur Verfügung gestellt werden.
Hinzu kommen flankierende Probleme und Mängel, wie
- das Fehlen einer holistischen Digitalstrategie mit Leuchtturmprojekten für das gesamte Unternehmen,
- ein zu geringer intelligenter Automatisierungsgrad hinterlegter Prozesse,
- der gewinnbringende Nutzen vorhandener Datenschätze (Data-Mining),
- der Inklusion und Sensibilisierung vorhandener Firmen- oder Konzernstrukturen,
- dem Willen zur Kooperation mit anderen digital-affinen Firmen auf Augenhöhe,
- das Fehlen agiler Managementmethoden, qualifizierter Ausbilder und einer guten Arbeitsplatz-Ausstattung,
- dem Aufbau von Communities und Einbindung der Mitarbeiter als Multiplikatoren,
- zu wenig (von Dauer geprägter) Rückhalt für Enabler im eigenen Unternehmen und
- externen Effekten wie Fachkräftemangel, Konjunkturschwankungen oder einfach nur Glück.
Am schlimmsten aber ist der Mangel an Freiräumen, Fehlerkultur oder Eigenverantwortung für Mitarbeiter, insbesondere Digital Natives und die Positionierung der richtigen Mitarbeiter auf der richtigen Stelle.
Die langfristigen Folgen für die Unternehmen sind fatal, denn hier liegt auch eine der Ursachen, weshalb sich Unternehmen so schwer mit den Herausforderungen der Digitalen Transformation tun.
Vielfach besteht Unkenntnis im Management darüber, über welche Talente und Innovationskraft ihre Mitarbeiter verfügen. Der eigentlichen Rolle des Managements, nämlich das intelligente Reagieren auf Veränderungen und die Kunst, passende Talente zu identifizieren, zu fördern, zu fordern und an der richtigen Stelle einzusetzen, geht im Alltagsgeschäft unter.
Talente aber warten nicht, sie sind wie Nomaden, sie ziehen, wenn es spannendere Optionen gibt. Der Arbeitskultur, flachen Hierarchien, Verantwortung und Entfaltungsmöglichkeiten kommen aus dem Grund hohe Bedeutungen zu, denn sie motivieren und binden. Ein Mitarbeiter braucht die Aussicht, Sinn und Wert zu stiften und eine relevante Rolle einzunehmen, Incentives alleine reichen nicht (mehr).
Fehlt es dem Management dann auch noch an dem Verständnis für neue Technologien und deren Wirkungsmechanismen auf unternehmensweite Prozesse, viel wichtiger noch auf das eigene Geschäftsmodell und Produktportfolio, wird es kritisch. Denn analog dazu besteht häufig ein Mangel an Unternehmergeist bzw. Risikobereitschaft, potenziell durchschlagende Geschäftsmodelle überhaupt erst einmal zu erproben.
Die hohe Relevanz eines guten CDOs
An dieser Stelle ist der CDO von hoher Bedeutung. Er muss die oben genannten Punkte zu einer ganzheitlichen Strategie zusammenführen und die Mitarbeiter für neue Themen begeistern. Dabei unterscheidet sich seine Aufgabe ganz fundamental von der des CIOs. Die Aufgabe des CIOs ist die Optimierung automatisierter Prozesse (Workflows) der Value Chain und der IT selbst. Demgegenüber wird der CDO vielfach mit der Funktion des Treibers neuer Geschäftsmodelle, innovativer Produkte und eines Umbruchs in der Unternehmenskultur – Schlagwort ‚agiles Arbeiten‘ – gleichgesetzt. Hierfür benötigt er ausreichende Entscheidungsbefugnisse, weitreichende Budgets und als zentrale Wirkungsstätte eine IT, welche sich im Vergleich zum Infrastrukturlieferanten als Enabler versteht, um nach Maßgabe des Innovationsmanagements Software-Artefakte als zentrale Produkte entwickelt, denen die Fachbereiche zuarbeiten. Und nicht mehr umgekehrt.
Um erfolgreich wirken zu können, werden dem CDO jedoch eine Vielzahl von – in Einklang zu bringender – Kompetenzen abverlangt, wie Strategie-, Kommunikations-, Vermittlungs-, Entwicklungs- und Organisationsgeschick. Entsprechend ist professionelles Fachpersonal mit derlei generalistischen Fähigkeiten als Schnittstelle zu allen wesentlichen Stakeholdern selten.
Mit dem richtigen Ansatz digital erfolgreich
Die digitale Welt ist dynamisch und stark fragmentiert. Es zeichnet sich jedoch ab, dass durch die Monopoltendenzen des Internets die Zukunft durch plattformbetreibende I(o)T-Unternehmen bestimmt wird. Jede Branche wird in Zukunft mit überlegenden Digitalstrategien um Aufmerksamkeit mit innovativen Produkten und flankierendem Content kämpfen müssen. Unternehmen müssen sich inhouse wappnen (Digitale Bildung, New Work Kultur, Smart Offices, Incentives) und ihre Betätigungsfelder zwangsläufig vielfältig gestalten (Diversifikation). Die Hoffnung ist, dass die Aggregation vieler kleiner Fäden zu einem ganzheitlichen Lösungsansatz führt.
Die dafür notwendige Koordination erfordert das Ausprägen einer präzisen CDO-Führungsrolle inklusive langfristiger Budgetverantwortung, um handlungsfähig zu sein.