In jüngster Zeit hat die Debatte um die Deindustrialisierung in Deutschland an Fahrt gewonnen. Die gegenwärtige Energiekrise und rapide steigende Kosten in der Beschaffung stellen viele deutsche Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen, insbesondere im produzierenden Sektor. Dieser Artikel untersucht, ob diese Entwicklung noch aufgehalten werden kann, welche Sektoren besonders betroffen sind und welche Lösungsansätze diskutiert werden.
Warnungen vor dieser Entwicklung sind nicht neu. Sowohl der Deutsche Industrie- und Handelskammertag als auch der Chemieverband VCI haben bereits auf mögliche Produktionsstopps und dramatische Situationen für energieintensive Branchen hingewiesen. Prognosen wie die der Deutschen Bank, die eine Schrumpfung des verarbeitenden Gewerbes um 2,5% im Jahr 2022 und weitere 5% im Jahr 2023 voraussagt, verdeutlichen das Ausmaß der Bedrohung.
Ein Blick auf die Automobilindustrie zeigt deutlich den multiplen Stress durch die Corona-Pandemie, den Chipmangel, Lieferkettenprobleme und nun auch die Energiekrise. Volkswagen drosselt aktuell die Produktion und zieht Produktionsverlagerungen aus Ländern in Betracht, die von russischem Gas abhängig sind, während BMW massiv in den US-Standort Spartanburg investiert.
Doch andere Branchen bleiben ebenfalls nicht verschont: Der Stahlkonzern Arcelormittal musste zwei Anlagen in Deutschland stilllegen; Trimet drosselte seine Aluminiumproduktion; Covestro drohte bei anhaltender Krise mit Investitionsstopp in Europa.
Diese Entwicklungen führen letztendlich dazu, dass immer mehr Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern – sei es wegen niedrigerer Energiekosten, attraktiven Förderprogrammen oder weniger Steuern und Bürokratie. Dies beschleunigt – nicht überraschend – einen Prozess der Deindustrialisierung.
Ein Beispiel hierfür ist BASF: Unter immensem Druck hat das Unternehmen ein Sparprogramm eingeführt und plant gleichzeitig eine milliardenschwere Investition für ein neues Werk in China, während am Standort Ludwigshafen Stellenstreichungen drohen.
Neben der Energiekrise tragen auch strukturelle Probleme zur Deindustrialisierung bei – Fachkräftemangel oder unzureichende Digitalisierung innerhalb der Industrie zum Beispiel.
Kleine Firmen leiden verstärkt
Und KMUs? Kleine und mittlere Unternehmen (etwa 99,6% aller Unternehmen in Deutschland, die rund 35% zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung beitragen), stehen vor noch größeren Herausforderungen. Im Gegensatz zu größeren Konzernen haben sie weniger Spielraum zur Diversifizierung ihrer Energiequellen oder zur effektiven Steuerung ihres Energieverbrauchs.
Darüber hinaus ist es für KMUs aufgrund ihrer stärkeren Bindung an lokale Kunden und Lieferketten sowie begrenzter finanzieller und logistischer Ressourcen oft nicht möglich, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern – eine Strategie, die viele Unternehmer aufgrund von Verbundenheit zum Standort oft auch gar nicht verfolgen wollen.
Hinzu kommt, dass KMUs im Vergleich zu ihren größeren Pendants tendenziell weniger Kapazitäten für Forschung und Entwicklung sowie für Investitionen in neue Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) haben. Dies kann ihre Wettbewerbsfähigkeit in einer zunehmend digitalisierten Wirtschaft obendrein einschränken.
Ein weiteres gravierendes Problem: Aufgrund ihrer geringeren Bekanntheit und begrenzten Ressourcen haben KMUs oft Schwierigkeiten, qualifizierte Arbeitskräfte zu gewinnen und zu halten – ein Problem, das sich in Zeiten des demografischen Wandels und wachsenden Fachkräftemangels noch verschärft.
Schließlich leiden KMUs unter einem hohen Maß an Bürokratie und Regulierung, was zusätzliche Zeit- und Ressourcenbindung bedeutet. All das stellt eine ernsthafte Bedrohung für die Stabilität und das Überleben von KMUs dar.
Lösungen in Sicht?
Die Integration von KI-Technologien wie OpenAI’s GPT oder Creative Assistant kann helfen, diese Herausforderungen zu bewältigen. Von Lieferkettenoptimierung über Automatisierung routinehafter Aufgaben bis hin zur Qualitätskontrolle – KI kann zahlreiche Prozesse effizienter gestalten und so zur Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen beitragen.
Es liegt jedoch auch in der Verantwortung des öffentlichen Sektors, den Einsatz von KI-Technologien zu fördern – etwa durch ein Bildungssystem, das auf digitale Kompetenzen ausgerichtet ist, oder durch Investitionen in moderne Infrastrukturen wie Breitbandausbau oder 5G-Mobilfunktechnologie.
Eine gezielte Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland könnte ebenfalls helfen – dies würde sowohl Unternehmen Zugang zu dringend benötigten Fachkräften ermöglichen als auch dabei helfen, demografischen Wandel zu bewältigen.
Weltweite Megatrends: und Deutschland?
Während Deutschland diskutiert, prägen globale Megatrends derzeit die Welt und formen unsere Zukunft auf tiefgreifende Weise. Digitalisierung und Technologieinnovationen sind treibende Kräfte, von künstlicher Intelligenz und Fusionsreaktoren über Blockchain und Quanten-Computern bis hin zu erweiterten und virtuellen Realitäten. Der Klimawandel und die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung führen zu einem wachsenden Fokus auf grüne Technologien, erneuerbare Energien und Kreislaufwirtschaft. Demografische Veränderungen, einschließlich einer alternden Bevölkerung in vielen Teilen der Welt und zunehmender Urbanisierung, wirken sich ebenfalls stark aus. Gesundheitliche Herausforderungen, verstärkt durch die COVID-19-Pandemie, haben das Interesse an Biotechnologie, Telemedizin und Gesundheitsinnovationen geweckt. Schließlich führt die Globalisierung zu immer stärker vernetzten Märkten und Kulturen, während gleichzeitig nationalistische Bewegungen an Bedeutung gewinnen. Diese Megatrends stellen sowohl Herausforderungen als auch Chancen dar, die weitsichtige Politikgestaltung und innovative Geschäftsmodelle erfordern.
Beispiel: Intel in Magdeburg
Inmitten dieser Herausforderungen wird politisch gehandelt. Aber auch richtig?
Die Entscheidung, z. B. Intel in Deutschland anzusiedeln, hat eine breite Debatte über die Industriepolitik des Landes ausgelöst. Kritiker argumentieren, dass die milliardenschwere Subventionierung des US-Giganten den Wettbewerb verzerren und kleinere Unternehmen und den Mittelstand benachteiligen könnte. Darüber hinaus besteht die Befürchtung, dass eine Abhängigkeit von proprietären Technologien Europas Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in einem sich schnell wandelnden technologischen Umfeld beschränken könnte. In einer Zeit, in der Unternehmen wie Nvidia, AMD und Apple mit fortschrittlichen Technologien aufwarten – Apple beispielsweise mit seiner M2-Architektur – scheint Intels Technologie im Vergleich veraltet.
Eine entsprechende Abhängigkeit von Intel gefährdet womöglich die Unabhängigkeit der EU von proprietären Architekturen. Indem man sich auf einen einzigen Anbieter verlässt, besteht das Risiko, dass man bei technologischen Fortschritten oder Veränderungen des Marktes weniger flexibel ist. Zudem hätte die EU stattdessen eine Arm-Lizenz erwerben können. ARM-Architekturen sind weit verbreitet und bieten eine größere Flexibilität und Anpassungsfähigkeit als proprietäre Lösungen. Begleitend hätten durch den Erwerb einer solchen Lizenz europäische Fachleute eingebunden werden können, um spezialisierte Chips zu entwickeln.
Ideen für die Zukunft
In diesem Kontext wird ein alternativer Ansatz zur Industriepolitik vorgeschlagen: die Bildung von Public-Private-Partnerships (PPP), die einen wertvollen Beitrag zur Stärkung der deutschen Industrie leisten könnten. Durch solche Partnerschaften könnten Ressourcen gebündelt und gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprojekte vorangetrieben werden. PPPs könnten sowohl etablierte deutsche Tech-Firmen wie Infineon, Bosch oder Siemens als auch KMUs einbeziehen und kleineren Start-ups eine Plattform bieten.
Ferner wäre die Schaffung eines Staatsfonds nach dem Vorbild Norwegens sinnvoll, der nicht nur die Rentenbeiträge stabilisieren soll, sondern gezielt in starke Firmen mit hoher Innovationskraft und Rendite investiert. Ein solcher Fonds wäre unabhängig, könnte die Rendite teils thesaurieren oder aber investieren und würde von Profis geleitet werden, deren Leistung an klar definierte Ziele geknüpft ist. Dieser Ansatz könnte dazu beitragen, Investitionen gezielt zu lenken und gleichzeitig politische Einflüsse zu vermeiden.
Die Kombination eines Staatsfonds nach norwegischem Vorbild mit strategisch geplanten PPPs könnte dazu beitragen, Deutschlands Position als globaler Technologieführer zu stärken und gleichzeitig die industrielle Basis des Landes zu erhalten.
Eine andere Möglichkeit wäre es, Anreize für kleinere Unternehmen und Start-ups zu schaffen, um Innovationen im Bereich der Megatrends voranzutreiben. Dies könnte durch steuerliche Anreize, bevorzugte Beauftragung durch die öffentliche Hand oder durch die Unterstützung bei der Forschung und Entwicklung geschehen.
Schließlich könnten auch Bildungsinitiativen hilfreich sein, um sicherzustellen, dass genügend qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Dies könnte beispielsweise durch Partnerschaften mit Universitäiten oder durch spezielle Ausbildungsprogramme erreicht werden.
Auch sie Stärkung der Third Mission, also der gezielten Öffnung von Universitäten und Hochschulen gegenüber der Wirtschaft zur zügigen Entwicklung gemeinsamer Produkte, wäre sehr wichtig.
Fazit
Trotz aller Herausforderungen besitzt Deutschland das große Potenzial zur Bewältigung seiner Strukturprobleme – sei es durch den Einsatz von KI oder gezielte politische Maßnahmen im Bereich Bildung, Infrastruktur, Migration und Technologie. Doch es besteht dringender Handlungsbedarf – sowohl seitens Politik als auch Wirtschaft – um eine weitere Deindustrialisierung zu verhindern oder zumindest einzudämmen.